Fachgespräch – Die Straße gehört allen! Mobilitätswende – sozial, klimagerecht, feministisch

Im Fachgespräch von mir und meinen Kolleginnen Swantje Michaelsen und Susanne Menge am 25.09.2023 haben wir uns mit dem Zugang zu öffentlicher Mobilität beschäftigt – Wege, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder im ÖPNV zurückgelegt werden. Inklusive Mobilität und Räume sind das Leitbild unserer Mobilitätspolitik. Alle Menschen sollen gleichermaßen mobil sein können. Ein besonderes Augenmerk gilt daher den Menschen, die häufig nicht ausreichend in der Planung berücksichtigt werden: Frauen, Kindern, Senior*innen, Menschen mit Behinderung, Armutsbetroffenen und wohnungslosen Menschen – feministische Leitbilder können uns hierbei unterstützen.

Gleichzeitig brauchen wir eine Entkopplung der Verkehrsplanung vom Automobil – denn rund ein Drittel der Menschen in Deutschland hat keinen Führerschein. Viele weitere Menschen können es sich nicht leisten, mit dem Auto mobil zu sein. Deshalb müssen die öffentlichen Räume, Infrastrukturen und Verkehrsmittel zugänglich, sicher, diskriminierungsfrei und barrierefrei sein.

Drei Impulse öffentlicher Ungleichheitsstrukturen:

Meike Spitzner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie spricht in ihrem Vortrag über Gender in der Verkehrs- und Stadtplanung. Dabei zeigt sie auf, wie sich die unterschiedliche Verteilung von Care-Arbeit auch in den Mobilitätsmustern widerspiegeln. Während Menschen, die keine oder wenig Care-Arbeit übernehmen (häufiger Männer) öfter direkte Strecken zwischen Arbeitsplatz und Wohnort zurücklegten, sind Care-Arbeitenden (eher Frauen) häufiger auf Wegeketten unterwegs – zum Beispiel zwischen Wohnort, Arbeitsplatz, Ausbildungsstätte der Kinder und/oder dem Supermarkt. Daraus entstehen unterschiedliche Bedarfe an das Mobilitätssystem.

Sie erklärt anschaulich, wie eine männlich dominierte Perspektive, die oft als geschlechtsneutral verstanden wird, weiterhin maßgeblich die Planung unserer Straßen und öffentlichen Räume beeinflusst. Der Fachausdruck für diese einseitige Herangehensweise ist der Begriff „Androzentrismus“, wie Meike Spitzner erklärt. Das Hauptproblem besteht darin, dass diese als Standard betrachtete Herangehensweise in allen planerischen Strukturen fest verankert ist, ohne die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen – einschließlich der Bedürfnisse der meisten Männer.

Durch eine feministische Stadt- und Verkehrsplanung lässt sich das aufbrechen. Gleichzeitig betont Meike Spitzner, dass für eine echte Neuausrichtung der Planung im Sinne aller Menschen auch die „Motornormativität“ überwunden werden müsse. Dass das Auto als zentrales Verkehrsmittel im Mittelpunkt aller Planungsmuster stehe, sei ebenfalls ein Produkt des Androzentrismus. Die Mobilitätswende ist sowohl aus feministischer Sicht als auch aus sozialer Sicht ein großer Gewinn.

Anna-Rebecca Helmy und Achan Malonda, Gründerinnen der Initiative „BVG – Weil wir uns fürchten“ sprechen über Diskriminierungsformen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie machen den Punkt stark, dass Mobilität ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe ist und Menschen, denen diese Mobilität durch Unsicherheit vor Gewalt genommen wird, damit von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Gender, Race und Class bilden dabei die Dreifaltigkeit queerfeministischer Intersektionalität. Das bedeutet, dass Menschen unter mehrfacher Diskriminierung leiden können, wenn sie beispielsweise sowohl anhand ihres Geschlechts als auch ihrer Hautfarbe und ihrer sozialen Klasse beurteilt werden. Die Initiative berichtet immer wieder über Vorfälle diskriminierenden bis hin zu gewaltvollen Übergriffen des BVG-Sicherheitspersonals.

Neben der rassistischen und sexistischen Diskriminierung durch das Sicherheitspersonal geht es dabei auch um eine klassistische Diskriminierung von Armutsbetroffenen. Strukturell schreibt sich diese beispielsweise in der Ersatzfreiheitsstrafe fest, die beim Fahren ohne Fahrschein hauptsächlich die Menschen betrifft, die die Strafe aus finanzieller Not nicht bezahlen können. Ersatzfreiheitsstrafe heißt, wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss ins Gefängnis. 77% der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, waren vorher arbeitslos, 20% obdachlos – und 16% waren bei ihrem Antritt suizidal. Deshalb kämpft „BVG-Weil wir uns fürchten“ gegen die Kriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein und für einen diskriminierungsfreien ÖPNV.

Lena Plikat von Women Mobilize Women und der GIZ beleuchtet internationale Perspektiven zur Mobilität und berichtet aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des Globalen Südens. Die Initiative der GIZ „Women Mobilize Women“, tätig im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, stärkt das Bewusstsein für geschlechtergerechte Mobilität und stärkt Frauen sowie marginalisierte Gruppen im Verkehrssektor. Gleichzeitig betont sie den Wert des Austauschs und gegenseitigen Lernens in der inklusiven Entwicklungszusammenarbeit und dem Mobilitätssektor.

In vielen Ländern des Globalen Südens sind genderspezifische Gewalt, die Klimakrise und schlechte Arbeitsbedingungen entscheidende Herausforderungen für den Verkehrssektor. Deswegen müssen soziale und geschlechtsspezifische Aspekte bei der Betrachtung dieses Sektors berücksichtigt werden. Allerdings besteht ein „Gender data gap“, das heißt es existieren zu wenige Daten darüber, wie Frauen und marginalisierte Gruppen in diesen Ländern Verkehrsmittel nutzen.

Als Best Practice schlägt Lena Plikat gemeinsam mit Verkehrsplanerinnen aus dem globalen Süden vor, „popular transport“ zu fördern, indem auf bereits genutzte Verkehrsmittel gesetzt wird, diese aber gendergerecht, sicher und klimaneutral gestaltet werden. Denn: Es gibt inspirierende Beispiele für feministische Mobilität im Globalen Süden, die durch den Austausch und das voneinander Lernen gefördert werden sollten.

Wie können wir ein gendergerechtes und diskriminierungsfreies Mobilitätssystem erreichen?

In der abschließenden Diskussion sind folgende Probleme deutlich geworden: Warum werden Menschen in Gefängnisse gesteckt, die sich ihr ÖPNV-Ticket nicht leisten können? Warum spielt die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, sowie von Menschen, die schlecht zu Fuß sind kaum eine Rolle in der Planung unserer Städte und Verkehrswege? Warum gibt es noch immer so wenig Frauen und Diversität in Stadtplanung, Verkehrsbehörden und der Mobilitätsbranche? Diese Fragen nehmen wir als Frauen im Verkehrsausschuss für die bündnisgrüne Fraktion mit und arbeiten daran, mit unserem Einsatz einen Unterschied zu machen. Die Mobilitätswende muss klimagerecht, sozial und feministisch sein!