Persönliche Erklärung zum Selbstbestimmungsgesetz

Tessa Ganserer, Sven Lehmann und ich nach Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag

Folgende Persönliche Erklärung haben Tessa Ganserer MdB und ich gemeinsam zur abschließenden Beratung und Abstimmung des SBGG im Bundestag abgegeben.

Die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes ist ein historischer Moment für alle trans, inter, und nicht-binären Menschen, aber auch für die Verfasstheit unserer Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte. Als Berichterstatterinnen und transgeschlechtliche Personen haben auch wir mit Ja gestimmt, obwohl wir nicht mit allen Aspekten der gesetzlichen Änderungen glücklich sind.

An dem entwürdigenden Transsexuellengesetz (TSG) kleben Blut und Tränen. Es wurde in vielen Teilen vom Bundesverfassungsgericht in insgesamt sechs Einzelentscheidungen für grundgesetzwidrig erklärt. Um den bei der Geburt eingetragenen Vornamen und Geschlechtseintrag korrigieren zu können, mussten sich transgeschlechtliche Menschen noch bis 2011 einer Zwangssterilisation unterziehen. Bis 2008 mussten Betroffene sich scheiden lassen, wollten sie eine Personenstandsänderung nach dem TSG in Anspruch nehmen. Nicht der Gesetzgeber hat dieses Unrecht beendet, sondern es waren die Betroffenen selbst, die in zermürbend langen und aufwändigen Gerichtsprozessen ihre Grundrechte einklagen mussten. Seit 2015 fordert der Europarat die Mitgliedstaaten auf, die menschenrechtswidrigen Zwangsbegutachtungen bei Personenstandsänderungen abzuschaffen. Zahlreiche europäische Staaten haben dies bereits umgesetzt. Deutschland zieht heute im Bundestag endlich nach.

Ein historischer Moment also, der schon längst überfällig war. Von der Vorlage des Eckpunktepapiers bis zur Verabschiedung sind fast zwei Jahre vergangen. Diese Zeit nutzten Rechtsextremist*innen und Populist*innen, um die öffentliche Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz mit transfeindlichem Misstrauen und Vorurteilen zu vergiften. Die Stimmen einzelner, die weit aufgeblasen wurden, ließen das Bild einer gespaltenen Gesellschaft entstehen, wo es keine gab. Eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Verbände, wie der Deutsche Frauenrat, der Bundesverband Frauenberatungsstellen, die Bundes-Psychotherapeuten-Kammer, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bundesjugendring, das Deutsche Institut für Menschenrechte und viele, viele weitere sprachen sich nicht nur von Anbeginn der Beratungen zu dem geplanten Gesetz für geschlechtliche Selbstbestimmung aus, sondern forderten auch substanzielle Verbesserungen am Gesetzesentwurf, die die Anliegen der Betroffenen in den Mittelpunkt rücken und ihre Rechte stärken.

Denn es gab viel berechtigte Kritik aus den Communities an einzelnen Paragrafen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, die wir teilen. Der sogenannte Hausrechtsparagraf führte auf Seiten der Betroffenen zur Sorge, dass es pauschale Ausschlüsse von trans, inter und nicht-binären Menschen aus Räumen geben könnte, auch wenn dies durch den Verweis auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ausgeschlossen wird. Unserer Auffassung nach wäre dieser Paragraf unnötig gewesen. Auch die dreimonatige Wartefrist für Betroffene sowie die Anforderung, dass Minderjährige nur mit Zustimmung ihrer Eltern eine Personenstandsänderung in Anspruch nehmen dürfen, wurde von uns stets kritisiert. Daneben gab es problematische Aspekte in Bezug auf die Regelung der Elternschaftsanerkennung durch trans, inter und nicht-binäre Personen sowie die aufgenommenen Ausnahmen im Hinblick auf den Spannungs- und Verteidigungsfall. Deshalb haben wir uns als Grüne Berichterstatterinnen für das Selbstbestimmungsgesetz von Beginn der Verhandlungen an für Änderungen am Gesetzentwurf stark gemacht.

An einigen Punkten konnten wir solche Verbesserungen erzielen: Trans, inter und nicht-binäre Personen können nun ihre Elternschaft auch anerkannt bekommen. Inter Personen können weiterhin im Reisepass einen abweichenden Geschlechtseintrag wählen, um im Ausland Diskriminierungen und Zwangsoutings entgehen zu können. Lücken im Offenbarungsverbot wurden verkleinert. Und auch in der Streichung des sogenannten „Datenübermittlungsparagrafen“ (§13, Absatz 5) sehen wir einen großen und wichtigen Verhandlungserfolg.

Aber die Warte- und Sperrfristen (§4 und §5), die Regelungen zum Hausrecht (§6) und besonders auch die Einschränkungen der geschlechtlichen Selbstbestimmung von Jugendlichen (§3), die im Wesentlichen unverändert geblieben sind, schmerzen uns tief und lassen uns an dieser Stelle in aller Deutlichkeit sagen: Dieses Gesetz atmet an einigen Stellen auch einen Geist des Misstrauens gegenüber trans, inter und nicht binären Personen. Das ist das Ergebnis jahrelanger transfeindlicher Kampagnen, die den Gesetzgebungsprozess negativ beeinflusst haben.

Deswegen wollen wir mit dem heutigen Abschluss der Gesetzgebung auch an alle Demokrat*innen appellieren – in diesem Parlament und draußen in der Gesellschaft: Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist es noch lange nicht getan – und mehr denn je brauchen wir eure Unterstützung: Die entgleiste transfeindliche Debatte muss wieder eingefangen werden! Wir brauchen starke Maßnahmen gegen Hassgewalt.

Wir erwarten, dass wir das Unrecht, wie bspw. Zwangsscheidungen und Zwangssterilisationen, welches trans, inter und nicht-binären Personen in diesem Land von staatlicher Seite aus angetan wurde, anerkennen und einen Entschädigungsfonds einrichten – so wie der Deutsche Bundestag dies auch für die staatliche Verfolgung homosexueller Handlungen durch den Paragraf 175 getan hat.

Außerdem ist fast ein Drittel der Behandlungssuchenden trans, inter und nicht-binären Personen gegenwärtig aufgrund struktureller Diskriminierung von einer adäquaten, ihren Bedürfnissen entsprechenden Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Das ist inakzeptabel, falsch und menschenrechtsverletzend. Deswegen müssen wir den Rechtsanspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen dringend gesetzlich verankern.

Am Ende unserer Bilanz möchten wir dennoch sagen, dass heute auch ein Grund ist zu feiern. Denn die Zwangsbegutachtungen und Gerichtsprozesse, die durch das TSG vorgeschrieben waren, kommen heute endlich weg. Endlich wird es deutlich leichter, den eigenen Namen und die eigene geschlechtliche Identität anerkennen zu lassen. Dies geht nun über das Standesamt.

Wir hoffen, dass dieses Selbstbestimmungsgesetz, dass dieser historische Moment Mut machen wird. Mut, sich für die eigenen Rechte einzusetzen. Mut, so lange nicht aufzugeben, bis ein diskriminierungsfreies und selbstbestimmtes Leben für alle Menschen Wirklichkeit ist.