Stell dir vor, jede Bahnfahrt von dir braucht eine tagelange Vorbereitung. Du kannst nicht einfach in den ICE steigen, sondern bist dazu gezwungen, vorher bei der Bahn anzurufen, online die Funktion der Fahrstühle am Bahnhof zu prüfen und dann noch zu hoffen, dass das Personal zur Bedienung des Hublifts wie vereinbart am Bahnsteig steht, die Aufzüge wirklich funktionieren und es nicht zu kurzfristigen Änderungen im Fahrplan oder Gleiswechseln kommt.
Diese Erfahrung machen ca. 1,5 Millionen Rollstuhlfahrer*innen in Deutschland, wenn sie einfach nur mit der Bahn, insbesondere im Fernverkehr, fahren wollen. Einige Eindrücke teilt beispielsweise der X-User Frank Cordes gemeinsam mit seiner Ehepartnerin Karin Cordes-Zabel seit vielen Jahren auf der Plattform mit über 10.000 Followern.
Kein Service-Personal im Zug, defekte Toiletten oder der unsensible Umgang mit Hilfsmitteln wie Rollstühlen – die beschriebenen Erfahrungen der beiden Vielfahrer*innen sind exemplarisch dafür, wie fragil das Reisendenangebot der DB für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste in Deutschland an vielen Stellen ist.
Der kürzlich erschienene fünfte Bericht der Antidiskrimierungsstelle des Bundes liefert wertvolle Informationen über verschiedene Formen von Diskriminierung im Öffentlichen Personennahverkehr. Die Erfahrungsberichte aus dem Bericht zeigen uns: es gibt noch einige Baustellen, an denen wir arbeiten müssen, um einen wirklich diskriminierungsfreien Nahverkehr anzubieten.
Der Öffentliche Personennahverkehr (im Bericht unter „Lebensbereich Güter und Dienstleistungen“ vermerkt) sticht hierbei mit 104 Beratungsfällen besonders heraus. Fast 30% der Beratungsfälle sind in diesem Bereich auf Diskriminierungserfahrungen im ÖPNV zurückzuführen.
Die anonymisierten Auszüge aus den Beratungsgesprächen zeigen beispielhaft, aber anschaulich auf, woran auf dem Weg zu einem diskriminierungsfreien Nahverkehr unbedingt gearbeitet werden muss.
Einige der Herausforderungen sind seit langem bekannt und in Umsetzung – die fehlende Barrierefreiheit von Bahnhöfen sorgt beispielsweise für viele Diskriminierungsfälle.
Seit dem Jahr 2009 hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Annahme der UN-Behindertenrechtskonvention unter anderem zum gleichberechtigten Zugang zu Transportmitteln für alle Menschen verpflichtet. 15 Jahre später ist viel passiert, doch das elementare Ziel, jeden Bus und jede Bahn barrierefrei nutzen zu können, ist noch in weiter Ferne. Dies haben die Vereinten Nationen bei ihrer letzten Überprüfung im Jahr 2023 festgestellt.
Folgerichtig war mir die Erhöhung der Mittel für die barrierefreie Sanierung von Bahnhöfen im Haushaltsplan 2025 ein Herzensanliegen auf dem Weg zu diesem Ziel. Die viel kritisierten Ausnahmeregelungen zur Barrierefreiheit hätten dadurch endlich verstärkt abgebaut werden können. Es schmerzt, dass wir diesen Haushalt nun nicht mehr verabschieden konnten.
Eine barrierefreie Umgebung ist für wirkliche gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich! – Kettner et al. 2023, S. 7
Dies zeigen uns auch weitere Punkte aus dem Bericht. So wird die Verfügbarkeit des Deutschlandtickets kritisiert, das größtenteils nur digital zu kaufen ist. Menschen ohne ein Smartphone können dieses Angebot in der Folge oftmals nicht nutzen, da Chipkarten nicht überall angeboten werden. Hier müssen Bund und Länder dringend einen Weg finden, der zukünftig flächendeckend die Möglichkeit zum Erwerb des Deutschlandtickets für Menschen ohne ein Smartphone ermöglicht. Hierzu zählt selbstverständlich auch die barrierefreie Gestaltung von Informationsapps, die noch nicht in allen Fällen gewährleistet ist.
Leider gibt es auch Fälle menschlichen Verhaltens, die für Diskriminierung im Öffentlichen Personennahverkehr sorgen. Die im Bericht beschriebenen Erfahrungen reichen von der Verweigerung der Mitnahme von Rollstuhlfahrenden, Fehlverhalten von Fahrpersonal bis hin zu fehlender Präsenz von Personal zur Bedienung von Hubliften an Bahnsteigen.
Ein weiteres großes Thema im Antidiskriminierungsbericht ist die Diskriminierung von Fahrgästen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder Religion. Diese steht in den meisten Fällen im Zusammenhang mit Racial-Profiling und geht sowohl vom Betriebspersonal als auch von Polizist*innen aus. Wir benötigen unbedingt flächendeckende Sensibilisierungsschulungen für das Personal in den Bussen und Bahnen, damit diese Diskriminierungserfahrungen im ÖPNV abnehmen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen bei der Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs diskriminiert werden. Der ÖPNV ist ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge, welcher für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein muss!
Aus dem Parlament heraus möchte ich diesen Weg auch in Zukunft kritisch-konstruktiv begleiten.