Persönliche Erklärung zum Sondervermögen der Bundeswehr

Auch ich gehöre zu einer der Abgeordneten, die bis zuletzt sehr mit sich gerungen hat, ob sie eine Zustimmung zum Sondervermögen Bundeswehr mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. Ich möchte in dieser Erklärung die Gründe, aber auch Abwägungen und Bedenken darlegen, warum ich der Änderung des Grundgesetzes in diesem Punkt zustimme.

Am 24. Februar 2022 ist für viele von uns in Deutschland und Europa eine Welt zusammengebrochen. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Tag, da im Rheinland die Weiberfastnacht gefeiert werden sollte. Nach 2 Jahren war es das erste Mal, dass in Köln und anderen Städten (in kleinerem Rahmen) nach den zwei schweren Coronajahren wieder Karneval begangen wurde. Nach Feiern war mir jedoch nicht mehr zumute, als klar wurde, dass Putin völkerrechtswidrig einen groß angelegten Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hatte. Danach galt nur noch: Was können wir tun, um diesem brutalen Unrecht entgegenzutreten?

Die Verbrechen gegen die Ukraine begannen nicht erst an diesem Tag im Februar. Seit Jahren verletzen Putin und Russland die Souveränität von Staaten und Völkern in Osteuropa massiv. Seit 2014 auf der Krim, zuvor aber bereits in Georgien und Tschetschenien, auch unter Einsatz von schrecklichsten Menschenrechtsverletzungen. Auch im aktuellen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung und Massentötung von Zivilist*innen gegen die ukrainische Bevölkerung belegbar.

Als größtes Land Europas, als Land, das sich geschworen hat, aus seiner historischen Verantwortung aus Faschismus und zwei Weltkriegen zu lernen, müssen wir uns fragen, wie wir mit diesem entfesselten kriegerischen Imperialismus von Seiten Russlands umgehen wollen. Die Beschränkungen auf diplomatische Mittel und wirtschaftliche Sanktionen allein haben Russland nicht von seiner kriegerischen Expansionspolitik abschrecken können.

Demokratie, Menschenrechte und Frieden in Europa müssen verteidigt werden. Im Zweifelsfall leider auch mit Waffen. Das ist eine schmerzhafte, aber eine realistische Einsicht, zu der ich in diesem Frühjahr gekommen bin. Wir haben deshalb entschieden, die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen, nicht nur durch humanitäre Hilfe, sondern auch durch Waffenlieferungen. Gleichzeitig mussten wir feststellen, dass unsere eigene Bundeswehr in einem schlechten und nur bedingt einsatzfähigen Zustand ist. Es mangelt an Ausrüstung, Hubschrauber und Gerät ist in einem schlechten Zustand. Überhaupt Ausrüstung zu finden, die wir mit der Ukraine teilen konnten, gestaltete sich von Beginn an als äußerst schwierig. Auch der mit anderen europäischen Ländern in Europa vereinbarte sogenannte „Ringtausch“, in dem Länder wie Polen eigene militärische Ausrüstung in die Ukraine liefern und dafür aus Deutschland Ersatz erhalten, gestaltet sich vor diesem Hintergrund als schwierig und schleppend.

Dass Frieden in Europa, insbesondere in Osteuropa, keine Selbstverständlichkeit darstellt und im äußersten Fall auch militärisch verteidigt werden muss, bedeutet eben auch, dass Deutschland im Herzen Europas seiner Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit nachkommen muss. Gerade gegenüber unseren Nato-Partnern wie Polen und den baltischen Staaten sowie unseren EU-Partnern Schweden und Finnland, die sich durch die russische Politik massiv bedroht sehen, sind wir diese Handlungsfähigkeit schuldig.

Nun möchte ich aber auch einige meiner Bedenken teilen, die mich bis zuletzt haben zweifeln lassen, ob das Sondervermögen der richtige Weg ist. Hier wäre zunächst zu nennen, dass es uns nicht gelungen ist, mit der Union und auch den Ampelpartnern ein hinreichendes Konzept für dieses Sondervermögen zu vereinbaren, dass auch die Cybersicherheit (u.a. Sicherheit vor Hackerangriffen auf zentrale Infrastruktur wie Krankenhäuser und Energieversorgung) und den Zivilschutz unserer eigenen Bevölkerung berücksichtigt. Denn internationale Sicherheit definiert sich nicht allein durch militärische Stärke.

Internationale Sicherheitskonzepte müssen auch den Schutz vor Armut, Ernährungskrisen, Umweltkatastrophen und den Auswirkungen der Klimakrise berücksichtigen. Insbesondere die Klimakrise und durch sie bedingte Ernteausfälle führen bereits jetzt zu einer sich anspannenden Versorgungslage in vielen Ländern der Welt, zu einer Destabilisierung von Regierungen und damit einer sich anheizenden Sicherheitslage. Dass sich unsere Koalition mit dem Sondervermögen Bundeswehr von ihrem im Koalitionsvertrag selbst gesteckten Ziel der „1-zu-1-Kopplung“ verabschiedet, durch das jeder in Verteidigungsausgaben investierte Euro gleichwertig in die internationale Entwicklungszusammenarbeit investiert werden sollte, ist vor diesem Hintergrund umso bitterer.

Gleichzeitig kommt für mich die fragwürdige Architektur der Gesetzgebung hinzu, durch die wir die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr wiederherstellen wollen. Weil die Bundesregierung, insbesondere der Finanzminister, an der Schuldenbremse festhalten will, ermöglichen wir die Finanzierung unserer Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit über ein außerhalb des regulären Haushalts veranlagten Sondervermögens, welches wir im Grundgesetz verankern. Für mich stellt sich die Frage: Warum gibt es keine massive gleich hohe Investition, um die in Deutschland gewachsene Armut zu bekämpfen, warum werden die auch in Deutschland reicher gewordenen Superreichen nicht an der Finanzierung in dieser Krisensituation beteiligt? Und warum schaffen wir es nicht, trotz einiger Kursverbesserungen, eine Politik zu machen, die dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens gerecht zu werden? Denn auch die soziale Krise und die Klimakrise stellen ein national und international wachsendes Sicherheitsbedrohung dar. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und die immer deutlicher werdenden Auswirkungen der Klimakrise werden in den nächsten Jahren auch zunehmend eine Bedrohung für die Stabilität unserer Demokratie werden, weil die Unzufriedenheit mit der mangelnden Lösung dieser Probleme wachsen wird. Ich komme einzig und allein zu dem Schluss, dass die Schuldenbremse fallen muss oder sich Vermögende in Zukunft stärker an der Finanzierung des Staatshaushalts beteiligen müssen, wenn wir es schaffen wollen, diese Bereiche ausreichend zu finanzieren. Dass wir uns von Sondervermögen zu Sondervermögen und Krisenpaket zu Krisenpaket hangeln, ist unseriös und wird den Investitionsstau in Deutschland nicht lösen können. Wir brauchen mehr Geld und das wird mit der Schuldenbremse und dem bestehenden Steuersystem, das wachsende Vermögen von Superreichen und internationalen Unternehmen schont, langfristig nicht funktionieren.

Zuletzt bleiben für mich auch drängende Fragen im unmittelbaren Umfeld der Bundeswehr unbeantwortet. Rechtsextremismus innerhalb von Teilen der Streitkräfte ist ein ernst zunehmendes Problem. Wir brauchen eine Stärkung der Soldat*innen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und sich für unsere Demokratie einsetzen. Diejenigen, die sie zu zerstören versuchen, die faschistischem Gedankengut nachgehen, dürfen wir nicht dulden, insbesondere nicht an einer so entscheidenden Stelle der nationalen Sicherheit.

Und dann bleibt noch die Frage des Beschaffungswesens. In den letzten Jahren sind viele Milliarden innerhalb der Bundeswehr sinnlos versickert, weil es an einer ernsthaften Überprüfung der Verteidigungsausgaben gemangelt hat. Ich wünsche mir, dass die politischen Bekräftigungen, hier Reformen einzuleiten, endlich umgesetzt werden.

Viele dieser Punkte bereiten mir Sorgen und Bauchschmerzen. Dennoch bin ich zu der Einschätzung gekommen, dass eine Nicht-Zustimmung meinerseits zum Sondervermögen Bundeswehr diese angesprochenen Probleme nicht lösen würde. Ich habe in Gesprächen in meiner Fraktion und mit vielen anderen Menschen angestoßen, dass es auch in diesen Feldern Veränderung braucht. Daran werde ich als Abgeordnete weiter arbeiten.